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Bronze, Holz, Ton und Beton – Plastiken von Frank Schauseil

Anke Fröhlich

Schaut sich der Besucher in Frank Schauseils Atelier um, erlebt er Begegnungen und Nicht- Begegnungen dicht beieinander: Hier lastet ein blickloser »Augenstein«, dessen Augäpfel sich in entgegengesetzte Richtungen wölben. Dort zeigen zwei ins Holz gedrückte Glasaugen ihre Blindheit her. Ein »Taucher« hat eine Leerstelle, wo das antwortende Augenpaar erwartet wird: Da stößt der Betrachter auf Leere, sieht durch den »Taucher« hindurch seine Umgebung. Ein Kopffüßler steht gänzlich ohne Augen da, aber mit Stacheln, die in die Umgebung zu lauschen scheinen. Ein anderes Wesen nimmt mit dem Boden Fühlung auf, ein Pilger, der so viele Gedanken im den Kopf hat, dass er nicht um sich zu schauen braucht; und diese Fülle ist in die Form einer Blüte getrieben.

Das Material

Seit 1999 arbeitet Frank Schauseil als Künstler. Eine Steinmetzlehre in Dresden und eine Steinbildhauerlehre in Potsdam gingen seiner künstlerischen Ausbildung an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden voraus und bilden die handwerkliche Basis seiner heutigen Arbeit. Er ist mit den Materialien vertraut und versteht ihre Charaktere, sei es beim Formen von Ton oder Gips, beim Guss in Beton oder Bronze, beim Behauen von Stein oder Holz. Sein Wissen über Kupfer steht da in der Form eines »Turmes«. Die Dinge liegen schwer in der Hand, doch wird das Material selbst nicht zum Thema erhoben. Sie sind einfach, es ist ihr Stoff wie unser Fleisch der unsrige ist. Dabei verbindet sie alle eine Handschrift, die sich nicht allein in der Ausformung gerade dieser plastischen Bilder zeigt, sondern auch in ihrer Behandlung. Ihre manchmal patinierten, manchmal mit Farben oder Fett behandelten Oberflächen sind roh, brüchig, durchlässig; zerbrechlich an den heikelsten Stellen. Bei anderen kommen Raster, Stabmuster oder Noppen ins Spiel.

Vergangene Schrecken

Bei aller vorgeblichen Versehrtheit ist die Wirkung von Frank Schauseils Figuren pur und ungebrochen: Sei es die »Paddelbootromantik«, wo ein Paar im Boot wie eine gegen die Wasserfläche sich abhebende Silhouette erscheint. Oder sei es das aufrecht stehende Tier mit den spitz, ja wehrhaft ragenden Zitzen, dessen Aggressivität trotz einer gewissen Gutmütigkeit nicht zum Lachen ist: Die gutmütige Ausstrahlung mag daher kommen, dass der Schreck gebannt ist – wie bei den Teufeln auf mittelalterlichen Weltgerichtsdarstellungen, deren Hauer und Krallen man mit Interesse studiert, ohne ihre Gefährlichkeit zu unterschätzen. Ironie ist nicht angebracht, auch wenn es sich um vergangene Schrecken, überwundene Furcht handelt. Auch andere Haltungen der Distanzierung greifen nicht: Frank Schauseils Gebilde sind nicht perfekt, »cool«, überlegen oder intellektuell gebrochen; sie behaupten nicht, dass ihr Schöpfer mehr wüsste als ihr Betrachter. Dies mag ein Grund dafür sein, dass er gelegentlich die Titelvergabe umgeht und seinen Schöpfungen dann »Ohne Titel« anhängt, diesen Behelf, der den Betrachter ärgert: Nun muss er sich selbst ans Deuten machen.

Bilder aus dem Gedächtnis

Dabei berührt Frank Schauseil Erinnerungen, die vor seine Lebensspanne zurück- und über ihn hinausreichen. So kann das aufgestellte Wesen mit dem Hundekopf an die Diana von Ephesos gemahnen, jene antike Statue mit drei Reihen nährender Brüste. Eine ganz persönliche Formenerfindung trifft sich hier mit dem kollektiven Mythenschatz. Auch seine spinnenähnlichen Tiere, der gefesselte Thronende, die haargenau ausbalancierten, nadelspitz zulaufenden Boote oder die urtümlichen Maschinenwesen sind Bilder, die Allen gehören. Dazu mögen einem andere Künstler wie Louise Bourgois oder Germaine Richier einfallen, afrikanische Volkskunst, Boote auf altägyptischen Darstellungen oder in Gemälden der deutschen Romantik, selbst die Filmkulissen von Fritz Langs »Metropolis« oder Charlie Chaplins »Moderne Zeiten«. Dass sie dem Betrachter in den Sinn kommen und den Künstler inspiriert haben können, bezeugt die Stärke bestimmter Bilder, die als Archetypen in unserem Gedächtnis gespeichert sind.

Vertrautheit im Fremden, Fremdheit im Vertrauten

Manche sind ein Klang, der sich von der Mitte zu den Rändern hin ausbreitet, der eine Basis hat und etwas Flüchtiges. Miteinander stehen sie als sichtbare Akkorde. Dass ihr Zusammenwirken dem Künstler wichtig ist, zeigt ihr Arrangement in Gruppen, in aus ihnen selbst gebildeten Binnenräumen, die er »Labyrinth« nennt oder »Archipel QX 211«. Miteinander deuten sie einen eigenen Kosmos an, dessen Mitglieder durch Sender aufeinander eingestellt sind. Dabei herrscht eine Hierarchie zwischen beschützendem, kontrollierendem Anführer, dem »Turm«, und einer Gruppe gleichrangiger Individuen. Auch wenn der Titel auf Sience-fiction-Szenarien hindeutet, bleibt es bei der Anspielung. Viel eher als eine utopische Vision von einer ganz neuartigen, futuristischen Daseinsweise ist das Beisammenstehen in der Nähe des »Turmes« ein Bild für vertraute Gruppenzustände. Das fremde Aussehen der unterlebensgroßen Gestalten – unterlebensgroß am menschlichen Maßstab gemessen – verbirgt nicht das Bekannte an der Konstellation.

Dasein in dieser Gestalt

Frank Schauseils Geschöpfe stehen auf zwei, vier oder sechs Beinen, von der »Magda« und der »Kleinen Stehenden« über den »Nomaden« und »D.« bis hin zur »Buckelzirpe«. Auch wenn Tiere erkennbar sind, ist ihr Ausdruck menschlich; und wenn es sich um eine Collage aus industriellen Einzelstücken handelt, so hat sie ebenfalls menschliche Proportionen. Auch mit ihren technoiden Teilen, mit gänzlich unanatomischen Gliedern, in ihren Abwandlungen natürlichen Wuchses und selbst in der Abwendung vom menschlichen Antlitz bleiben sie auf die Körpererfahrung des Menschen bezogen.

Sie stehen, sie lauschen und senden, sie lassen sich anschauen. Sie sind. Befremdliche Wesen, die da beieinander stehen und jeweils eine eigene Binnenwelt um sich herum ausfalten. Immer sucht man nach den Augen als Organ der Kontaktaufnahme: Blicken sie, lassen sie sich erblicken? Erkennen sie uns und einander; sich selbst? Sind – von der Kenntnis menschlicher Körpersprache ausgehend – ihre Haltungen zu deuten als Mühe, Geduld, Warten? Worauf? Beschwert sie ihr Dasein in dieser Gestalt; und ist diese Gestalt ihre ursprüngliche? Oder sind es Wesen, die auf ihre Rückverwandlung warten? Wen gäbe es dann zu sehen? Sie wirken alt, doch nicht überlegen. Als Prototypen neuer Art wirken sie wie Kinder, doch nicht drollig. Sie gestikulieren nicht, doch weckt der Ausdruck ihrer Gliedmaßen und ihres Dastehens das Mitgefühl des Betrachters: Er fühlt mit Dingen aus Bronze, aus Holz, aus Beton und aus Gips.

Spiegelbilder unseres Daseins

Gebunden in ihrer durch das Material bestimmten Gestalt, sind Frank Schauseils Figuren in ihrem Dastehen dennoch frei. Sie sind sie selbst und außerhalb von uns und sind deshalb unser Spiegelbild, Gestalt gewordene Aspekte unseres Daseins: Aggression, mit der man sich einrichtet, Gewaltbereitschaft des Gemütlichen, die Sanftmut der Versehrten, Einsamkeit der Allzuklugen, die Fragilität der Gefürchteten.

Stammesmitglieder, Spielzeuge

Die »Buckelzirpe« ist ein Lebewesen. Der Hubschrauber unterscheidet sich nicht sehr von ihr, und ist dennoch eine Maschine. Bedeutet Formengleichheit so wenig? Flora und Fauna, Mensch und Tier, Dämonen und Marionetten, Maschinen und Gefäße ähneln einander in ihren Gliedern und sind hier von derselben Sorte, von einem Stamm, Mitglieder eines Geschlechts. Sie sind die Spielzeuge ihres Schöpfers, das Ergebnis seines Spiels, die Puppen, die er sich selber zeigt. Dies ist es, was die Betrachter an Frank Schauseils Plastiken anzieht, ihnen Rätsel aufgibt und sie inspiriert, ihrer Fantasie, ihren eigenen inneren Bildern, sich selbst freien Lauf zu lassen.